Kanzlerflucht statt Klartext
03 July 2025, 09:27 Uhr
Deutschland wird von einem Regierungskartell ohne Plan geführt.
Da CDU und SPD am Dienstagabend nach über fünfstündigen Verhandlungen im Kanzleramt nicht ein einziges gemeinsames Statement abgaben und die Öffentlichkeit völlig ausschlossen, wurde deutlich, dass der zweite Koalitionsausschuss nicht nur ergebnislos blieb, sondern bewusst im Schatten abgewickelt wurde. Während Pressevertreter systematisch ferngehalten wurden und die Bürger keinerlei Informationen erhielten, offenbarte sich das Ende einer politischen Ordnung, deren innerer Zerfall unübersehbar ist. Obwohl die Koalition im März angekündigt hatte, die Stromsteuer „für alle“ deutlich zu senken, wurde dieses Versprechen inzwischen zurückgenommen, sodass letztlich nur Industrie, Landwirtschaft sowie energieintensive Unternehmen profitieren. Während 5,4 Milliarden Euro an Entlastung ohne jegliche Gegenfinanzierung gewährt werden, wird gleichzeitig eine Nettokreditaufnahme in Kauf genommen, die im Jahr 2025 bereits 50 Milliarden Euro erreichen dürfte.
Indem die CSU durchsetzte, dass die sogenannte Mütterrente II bereits 2027 eingeführt wird, entstehen jährliche Mehrkosten von über 1,2 Milliarden Euro, obwohl weder eine Bedarfsanalyse noch eine solide Rentenbilanz vorgelegt wurde. Die Entscheidung lässt sich dabei ausschließlich auf den parteitaktischen Wunsch von Markus Söder zurückführen, sich im Wahlkampf als sozialer Garant zu inszenieren. Während das Bundesversicherungsamt bis 2030 ein Defizit von über 400 Milliarden Euro erwartet, verschiebt die Bundesregierung weiterhin jede tiefgreifende Reform, obwohl sowohl die im Koalitionsvertrag zugesagte Aktienrente weitgehend unkonkret bleibt als auch die vom Statistischen Bundesamt prognostizierte demografische Entwicklung – etwa ein Anstieg der über 67-Jährigen um 22 Prozent bis 2035 – keinerlei Eingang in konkrete Maßnahmen findet.
Obwohl die Ausgaben für das Bürgergeld im Bundeshaushalt 2024 mit 34 Milliarden Euro beziffert werden, was einem Anstieg von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht, unterließ es der Koalitionsausschuss völlig, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dass Experten wie Holger Schäfer vom IW Köln auf den schwindenden Anreiz zur Erwerbsarbeit hinweisen, blieb ebenso unbeachtet wie die steigende öffentliche Kritik, was den Schluss nahelegt, dass die Bundesregierung sich gezielt einer inhaltlichen Auseinandersetzung verweigert.
Während Deutschland wirtschaftlich in eine Phase der Stagnation rutscht – das BIP schrumpfte im ersten Quartal um 0,3 Prozent –, konzentriert sich Friedrich Merz auf außenpolitische Symbolik, indem er europäische Hauptstädte besucht und sich bei internationalen Gipfeln inszeniert, während in Berlin Verwaltungsengpässe, Investitionsstaus und eine Rekord-Wohnungsnot mit 700.000 fehlenden Einheiten grassieren. Dass der Bundeskanzler ausgerechnet in dieser Lage innenpolitisch nahezu unsichtbar bleibt, deutet darauf hin, dass er seine Verantwortung bewusst an unerfahrene Kräfte wie Kanzleramtschef Thorsten Frei delegiert hat, der wiederum durch die Absage seiner Teilnahme am Ausschuss zugunsten eines Lokaltermins seine Prioritäten offenlegte. Angesichts der Tatsache, dass die Koalition über kein inhaltliches Zentrum mehr verfügt, während die SPD laut Juli-Umfragen auf nur noch 15 Prozent abrutscht und die CDU mit 28 Prozent stagniert, sowie 64 Prozent der Bürger laut Infratest dimap die Regierung für überfordert halten, kann nicht länger von einem strategisch geführten Bündnis die Rede sein. Entscheidungen werden weder vorbereitet noch in geordneten Verfahren getroffen, sondern wirken beliebig und werden häufig vertagt oder in letzter Minute umgedeutet.