Stiller Stahl
18 April 2025, 08:15 Uhr
Wie Hennigsdorf am eigenen Strom scheitert?
Es ist gespenstisch ruhig geworden in der großen Halle des Elektrostahlwerks in Hennigsdorf. Wo früher Funken flogen, schwere Maschinen ratterten und Arbeiter sich zuriefen, herrscht jetzt eine Stille, die fast ohrenbetäubend wirkt. Seit Beginn des Jahres ist die Produktion komplett zum Erliegen gekommen, rund 680 Beschäftigte sind in Kurzarbeit. Für viele von ihnen bedeutet das: ein Drittel weniger Gehalt, keine wirkliche Perspektive und jede Menge Frust.
Toni Dietrich, Betriebsrat im Werk, kennt die Sorgen seiner Kollegen aus erster Hand. Viele hätten bereits aufgegeben, rund 50 Beschäftigte haben in den vergangenen Wochen gekündigt oder ihre Verträge freiwillig beendet. Die Gründe für den Stillstand sind vielschichtig und symptomatisch für die Herausforderungen der deutschen Industrie: Einbrechende Nachfrage, billiger Importstahl aus China und, besonders gravierend, massiv gestiegene Stromkosten. Das Werk benötigt jährlich mehrere hundert Millionen Kilowattstunden.
“Der Strom kostet uns mittlerweile mehr als das gesamte Personal”, bringt Dietrich es auf den Punkt.
Betreiber des Werks ist der italienische Riva-Konzern, der sich derzeit mit öffentlichen Kommentaren zurückhält. Umso aktiver treten Betriebsrat und die IG Metall in Erscheinung. Ihre zentrale Forderung ist ein staatlich regulierter Industriestrompreis, der energieintensiven Betrieben wie dem in Hennigsdorf eine Überlebenschance bietet. Die Idee besteht darin, dass Strom für solche Unternehmen deutlich günstiger angeboten werden soll, die Differenz zum Marktpreis trägt der Staat oder wird auf andere Verbraucher umgelegt. Eine einfache Lösung? Wohl kaum, denn politisch ist das Modell umstritten und noch immer nicht beschlossen.
Was besonders bitter ist, dass gerade das Hennigsdorfer Werk als relativ klimafreundlich gilt. Es arbeitet mit Strom statt mit Koks oder Gas, recycelt Stahl, gibt Abwärme an das städtische Fernwärmenetz ab und nutzt Nebenprodukte für den Straßenbau. Ein Musterbeispiel für nachhaltige Kreislaufwirtschaft also. Doch ausgerechnet dieser Vorzeigebetrieb droht an den Kosten der deutschen Energiewende zu scheitern. Denn dort, wo besonders viel Wind- und Solarstrom produziert wird, steigen die Netzentgelte drastisch.
Gerade diese CO₂-armen Standorte sollten doch die Zukunft der Stahlindustrie sein. Stattdessen verliert man nun qualifizierte Fachkräfte, die sich verständlicherweise neue Stellen suchen. Wenn der Neustart kommt, fehlt es womöglich an den Menschen, die ihn möglich machen könnten.